OKTOBER 2023
Die Meisten von uns schütteln die Ereignisse im nahen Osten regelrecht durch. Und das ist auch richtig so. Denn wer fähig zu Empathie ist - also so ziemlich alle Menschen - wird jetzt wahrscheinlich nahe einer Überforderung sein. Mir hilft es, Menschen zuzuhören, die dabei helfen einzuordnen, was gerade alles auf einmal geschieht. es tut mir gut, wenn jemand die Dinge - gerade in dieser Zeit - beim Namen nennen kann, ohne zu polarisieren. Wenn jemand sortiert und so einordnet, dass sie nicht verwischen.
Denn es ist wirklich wichtig, dass wir uns nicht verführen lassen, alles in einen Topf zu schmeissen, umzurühren und daraus Worte und Bezeichnungen fischen, die zu Polarisierung führen.
Worte wie Genozid, Kolonialisierung und Völkermord sind sehr einladend zu benutzen, wenn man sich Gehör verschaffen oder Klicks generieren möchte. Von Facebook und Co. haben einige gelernt, dass wenn wir uns in Extremen ausdrücken, wir Reaktionen bekommen. Also benutzen sie solche Worte.
Aber wollen wir uns wirklich so weit einspannen lassen, dass wir begriffe und Ausdrucksweisen übernehmen oder weiterleiten nur wegen der Klickzahl und nicht, weil wir mithelfen wollen zu Deeskalieren? ich denke da auch an Organisationen wie Amnesty International und Friday for Future um nur zwei zu nennen, die sich dieser Strategie bedienen.
Wollen wir von aussen Mitgefühl, ein offenes Ohr, breite Schultern und Hilfe anbieten oder Öl ins Feuer der Polarisierung giessen?
Meine Quelle der Inspiration ist zum Beispiel Yuval Noah Harari. Er ist Historiker der nicht nur eine differenzierte Sicht nach Hinten pflegt, sondern auch Zukunft im Blick hat. Man findet ihn auf Youtube.
Oder Correctiv.org. Das ist ein unabhängiger Faktenchecker. Man kann dort sogar Screenshots einreichen, wenn man selbst nicht rausfinden kann, ob etwas so geschehen ist oder gesagt wurde. Ich finde, es wird immer wichtiger genau zu überprüfen, von wo eine Information kommt und ob sie stimmt.
LESEPROBE VOM BUCH „HERZSCHLAG UND TROMMEL“ Mein Weg zur Schamanin
Im «Schamanischen» ... ... Diesem Wort sollte ich zum ersten Mal in einem Kinofilm begegnen. Eine Freundin lud mich ein, sie ins Kino zu einem Film über Schamanen zu begleiten. Ich glaube, ich hatte mir bis dahin noch nie so häufig in einem Kino Augen und Ohren zugehalten. Alle paar Minuten musste ich mich im Sitz vergraben, die Augen zusammenkneifen, mir die Ohren zuhalten da ich nicht ertrug, was ich vor mir auf der Leinwand sah. «Gott, mach dass es bald vorbei ist!», flehte ich still während der Vorstellung. Beim Verlassen des Kinosaals blickte ich meine Wohltäterin an und sagte erleichtert: «Bin ich aber froh, dass ich nicht eine von denen bin!» Der Umgang mit Geistwesen, mit der Anderswelt, das Heilen in Zusammenarbeit mit der nicht sichtbaren Welt, ... das war all das, womit ich nichts zu tun haben wollte! Nur weg von hier.
Ein paar Wochen später schleppte mich dieselbe Freundin zu einem Kurs mit einer Schamanin aus Neuseeland. Mir gefiel die Idee zunächst richtig gut und ich nahm die Einladung dankend an. Als der Tag der Abreise jedoch immer näher rückte, spürte ich mehr und mehr, dass dieses Seminar nichts für mich war. Und so liess ich am Abreisetag meine Freundin wissen, dass ich es mir anders überlegt habe. «Wie bitte?» «Ich komme nicht. Das ist nichts für mich. Tut mir leid, da musst du alleine hin.»» – «Bist du verrückt? Das Seminar ist schon bezahlt! Du kannst doch nicht einfach sagen sorry, ich komm doch nicht mit!» Hm. Da hat sie recht. «Ok. Ich komme mit, aber unter der Bedingung, dass ich, wenn es mir dort nicht zusagt, gehen darf.» Meine Freundin verdrehte die Augen und sagte, ok, frühestens nach einem Tag würde ich frei sein, mich zu entscheiden. Deal.
So fuhren wir zerknirscht in Richtung München. Dort angekommen nehme ich die Koffer aus dem Wagen, gehe an der Rezeption vorbei die Treppe hoch, betrete das Zimmer, verweile eine Minute, drehe mich auf dem Absatz herum und gehe den selben Weg zurück an der Freundin vorbei in Richtung «weg von hier»». «He! Wo gehst du hin?»» – Ich: «Na, zum Bahnhof.»» – Mit mittlerweile genervtem Ton ruft sie: «Wieso zum Bahnhof?»» – «Wir haben abgemacht, dass ich, wenn es mir hier nicht gefällt, nach Hause fahren darf. Es gefällt mir hier nicht.»» – «Moment mal, unsere Abmachung war, dass du frühestens nach einem Tag gehen kannst!»» Knirsch. Dass sie auch immer alles so genau nehmen musste ... Ich drehe mich also wieder um und gehe brav zurück in die Höhle der Löwin.
Wir sitzen im Seminarraum und eine niedliche ältere Dame kommt herein. Das ist also die Schamanin?! Da hatte ich wohl ein bisschen vorschnell meine Bedenken. Sie ist sympathisch und beginnt auf Englisch Geschichten zu erzählen. Ich versinke in eine Art Halbschlaf. Sie redet und redet, und ich beginne zu träumen, ohne zu träumen, bis sie nach ungefähr zwei zerredeten Stunden unvermittelt sagt: «And now we open the four directions.»» Four directions? Was in drei Himmels Namen sind four directions? Wir stehen auf, und es sehen alle so aus, als ob sie genau wüssten, was sie meint. Sollen sie halt die four directions öffnen. Ich höre «bla bla bla bla bla»», «bla bla bla»», und dann drehen sich alle dem Westen zu. Da ich nicht zugehört habe, weiß ich nicht, dass sie der Himmelsrichtung des Westens die Ahnen zuordnet. Sie beginnt also mit «blablabla, bla bla ...», und in mir tut sich so etwas wie eine Schleuse auf, ein Strom von Empfindungen, Gefühlen und Anwesenheiten stürzt auf mich ein. Ich weiß nicht wie mir geschieht, und schon gar nicht weiss ich, wie ich das stoppen könnte und gerate innerlich leicht in Panik.
Wir sollen jetzt zum Abendessen gehen, aber ich fühle mich gar nicht danach. Ich fühle mich wie ein Schweizer Birchermüesli mit viel zu vielen und mit den falschen Zutaten. Ein Chaos in mir. Meine jüdischen Vorfahren und die deutschen Vorfahren der Teilnehmer im Raum treffen in meinem Körper aufeinander. Bumm! Ich kann kaum noch stehen und ziehe mich in mein Zimmer zurück, wo ich immer krassere Schmerzen bekomme, die in meinem Körper innert Sekunden von einem Ort zum andern wechseln. Plötzlich könnte ich mich übergeben, dann blitzt extremster Kopfschmerz auf, der ins Knie rutscht und so weiter. Als meine Freundin zur Türe reinkommt und mich sieht, ruft sie: «Um Gottes Willen, du bist grün und gelb im Gesicht! Was ist los mit dir?!» Ich kann kaum sprechen und so eilt sie zum Großmütterchen. Diese ist grad dabei, die Treppe zum Seminarraum zu erklimmen und antwortet ihr: «Das ist gut. Bring sie rauf. Ich bin eine starke Schamanin. Sag ihr, die einzige Bedingung, die ich habe ist, dass sie mir vertraut.»
Na, da hat sie mir ja eine große Wahl gelassen. Zwei Leute müssen mich beinahe hochtragen, da ich kaum gehen und nur noch verschwommen sehen kann. Ich kämpfe innerlich um mein Recht, im Körper zu bleiben und werde im Seminarraum auf einen Stuhl gesetzt. Von da weg bekomme ich von Minute zu Minute weniger mit. Ich erinnere mich noch, wie sie mich fragt, ob einer der Kursteilnehmer als Stellvertreter für meinen Vater etwas für mich tun darf. Ich schaue diesen Mann an und erkenne nicht nachvollziehbar aber sofort, dass er ein Nachfahre von einem Vater ist, der als Nazi bei der Gestapo war, und fühle einen Schrei in mir aufsteigen. Nun höre ich mich schreien, und dazu denke ich: Komisch, das hört sich sehr schmerzhaft an, innerlich fühle ich mich jedoch total entspannt und gut. An den weiteren Teil des Abends kann ich mich nicht erinnern. Heute weiß ich, dass ich an dem Abend in Trance gefallen bin. Damals war das nur eigenartig.
So nach einer Stunde kam ich wieder zu mir. Ich öffnete die Augen und sah wie die Teilnehmenden sich in den Armen lagen. Ich fand es leicht befremdlich, dass der Raum grad eben noch so normal gewesen war, und nun lagen sich die meisten weinend und tröstend in den Armen. Ich selbst hatte jetzt einfach nur Hunger. Ich wollte endlich zu Abend essen.
Am nächsten Tag trat Wai – so hieß die «kleine, süße» Schamanin – zum Frühstück an meinen Tisch und fragte mich, ob ich wisse, dass ich schamanische Energien in mir trage. «Shamanic energies? Me? No.» Sie ließ es gut sein, und wir verbrachten den ersten Seminarmorgen. Beim Mittagessen kam sie wieder an meinen Tisch. Wir redeten aneinander vorbei über dies und das. Dann schaute sie mich an und fragte nochmals: «Do you know that you carry shamanic energies?» – «No.» Wieder wendete sie sich ab und ging ihres Weges.
Am Abend, kurz nachdem alle meinen Tisch verlassen hatten und ich abräumen wollte, kam sie wieder. «Do you know that you carry shamanic energies?» Ich wollte Luft holen, um wieder zu verneinen, da haute sie ihre Faust auf den Tisch. «Ich hab es jetzt drei Mal zu dir gesagt. Nun kannst du kein schwarzes Tuch mehr darüber werfen! Jetzt musst du es dir anschauen!»
Ich wusste nicht warum, aber mir schossen die Tränen in die Augen, und Wai sagte: «Ich weiß, warum du weinst.» Nun begann auch sie zu weinen. «Es ist die Verantwortung. Und die Bestimmung. Andere können wählen was sie sein wollen. Wir beide nicht. Wir können uns nicht auswählen, was wir werden möchten und wie wir das leben wollen. Heiler können beschließen, dass sie Heiler werden wollen, und sie können sich verschiedene Heilweisen aneignen, die sie interessieren. Wir aber werden irgendwann gerufen, und dann sind wir aufgefordert unsere Gabe zu leben. Wenn wir das nicht tun ... na, du hast nun ja erfahren, wie sich das anfühlt.» Und so weinte ich mit der Frau, die meine Lehrerin werden sollte im tiefen Verstehen von etwas, das für meinen Kopf noch nicht zu fassen war.
Bevor ich aber meine Reise beginnen sollte, unternahm ich noch einen letzten Fluchtversuch. Kurz nach der Abschlusszeremonie räumte ich schnell meine Sachen zusammen und verließ sofort den Raum. Aaaber, da hatte ich die Rechnung ohne meine Begleiterin gemacht. Sie ging nach vorne und sagte: «Nun, da du ihr gesagt hast, dass sie eine Schamanin ist, wie geht es mit ihr weiter? Ich meine, was soll nun geschehen?» Wai überlegt für ein paar Sekunden, dann sagt sie: «Nächste Woche ist ein Seminar. Sie soll da hinkommen. Sie soll nicht rumsitzen. Die muss arbeiten. Sie wird meine Assistentin. Danach fängt eine Weiterbildung an. Dort kann sie auch assistieren und dann einfach überall, wo ich bin. Die Daten sind auf meiner Website.» Na, vielen Dank!
OK